Performance / Gespräch, HAU 3: Samstag, 14. April, 19 – 22 Uhr

Performance: »Luxusarsch mit nacktem Körper«

Mit Fafá Carvalho, Gui Alcântara / Konzept, Regie: Luiz de Abreu

Die Konzepte für Identität und Subjekt ebenso wie unser Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten ethnischen, rassischen, linguistischen, religiösen und anderen Gemeinschaften verändern sich. Diese Performance will Überlegungen anstellen zu einer Veränderung des Identitätsgefühls, durch das ein Individuum strukturiert wird. Prägungen seiner Psyche und seines Körpers werden aufgezeigt. Diese Register erzählen eine zugleich private und kollektive Geschichte, die einigen Gemeinschaften heute ein Zugehörigkeitsgefühl zurückgibt, das früher negiert wurde.

Gespräch: Tanz der Farbe. Wie sind Schwarze im brasilianischen Tanz präsent? Wie beeinflussen sie ihn?

Moderation: Wagner Carvalho

Der afrikanische Beitrag zur brasilianischen Kultur wird zunehmend gewürdigt. Davon ausgehend werden Identitätskonzepte in Beziehung zu Tanz und Musik diskutiert. Die Lebensrealität der schwarzen Community in Deutschland dient als Kontrapunkt für die Diskussion.

Was die Bahianerin tanzt:

Fafá Carvalho (BA) –Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin und Kunsterzieherin. Studentin im Fach: Szenische Künste an der UFBA. Derzeit unterrichtet sie zeitgenössischen Afro-Tanz in der Fundação Cidade Mãe für Kinder und Jugendliche aus armen Verhältnissen, die in Salvador in einem schwierigen sozialen Umfeld leben.

In der globalisierten Welt kreist die Diskussion um die Fragmentierung des Menschen und die Reaktion der Gesellschaft auf diese, die kontinuierlichen Transformationsprozessen unterliegt. In der heutigen Welt sind Distanzen kürzer geworden. Daraus resultiert, was Stuart Hall „Phänomen der Verschiebung” nennt, in dem Sinne, dass alte Identitätskonzepte überholt sind. Das Individuum hat seinen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Welt verloren. Im Falle der Nachfahren der Afrobrasilianer versuchen wir, uns an den Überresten des kulturellen Erbes festzuhalten: Tanz, Musik, Gesang und die Küche – auch als Form der Vergewisserung von Identität. Diese Punkte drücken unsere Größe und zugleich unsere Einfachheit aus. Unter diesem Blickwinkel sollen die verschiedenen Identifikationsmöglichkeiten, die das Individuum formen, ebenso wie die Prägungen seiner Psyche und seines Körpers auf der Grundlage der persönlichen Geschichte diskutiert werden.

Samba, Besitzer des Körpers:Eine Ideologie des Widerstands:

Gui Alcântara (Salvador) - Spezialisierung auf klinische und unterrichtsorientierte Bewegungskoordination. Sportdiplom von der UCSal, Contra-Meister im Capoeira, ausgebildet von der international bekannten Grupo Tópazio, Trommler und Schlagzeuger. Arbeitet mit Kindern und Jugendlichen, die auf der Straße leben. Derzeit koordiniert er den Capoeira-Nukleus und das Berimbau-Orchester des Axé-Projektes.

Im Samba artikuliert sich durch den tanzenden Körper eine Ideologie des Widerstandes. Die brasilianische Musik bietet in ihrer großen Varianz dem Volk eine Möglichkeit des politischen Ausdrucks. Der Schutz der brasilianischen kulturellen Identität, ihrer Sitten und Bräuche rückt zunehmend in den Mittelpunkt der Diskussion.

»Schwarzer Körper«, (un)sichtbarer Körper:

Luiz de Abreu (São Paulo-Salvador) – Tänzer und Choreograf. Er stammt aus Araguarí in Minas Gerais und hatte seine erste Begegnung mit Tanz durch den Umbanda-Kult. Er studierte Tanz in Uberlândia und in Belo Horizonte und arbeitete in mehreren Tanzcompagnien mit. Seine Solokarriere begann er Mitte der 90er Jahre in São Paulo. Seit 2004 widmet er seine Forschungen dem Thema des 'schwarzen Körpers'. Teilnahme an move berlim 2005 mit dem Solo „Der Samba des verrückten Negers”.

Die (Un)sichtbarkeit des schwarzen Körpers im zeitgenössischen brasilianischen Tanz steht im Fokus dieser Debatte. Zwei Fragen beschäftigen Luiz de Abreu: Was wird aus dem zeitgenössischen Tanz werden? Wie kann die geringfügige Präsenz des Schwarzen im ästhetischen und ideologischen Diskurs dieses Tanzes übersetzt werden? Eine Gegenüberstellung mit diesem Tanz soll erfolgen, der hier als ideologische Konstruktion angesehen wird und den Schwarzen als Objekt und nicht als Subjekt innerhalb der aufgestellten Parameter betrachtet. Diese Themen sind in seinen Stücken präsent, wie z. B. in „Der Samba des verrückten ‚Negers?”, „Menschenzermürbende Maschine”, „Black Fashion”, „Travesti” und anderen.

Schwarze Poetik für das Elend und die Schönheit der Städte:

Carmen Luz (Rio de Janeiro) – Postgraduierung im Bereich Dokumentarfilm an der Stiftung Getúlio Vargas und in Theaterwissenschaften an der UFRJ. Studium der brasilianischen Literatur an der UFRJ. Choreografin, Tänzerin, Berufsschauspielerin, Regisseurin und Professorin für Theatererziehung, Rio de Janeiro. Gründerin und künstlerische Leiterin der Cia. Étnica de Dança e Teatro und Koordinatorin des Projeto Encantar. Sie ist Beraterin für das Centro Coreográfico der Stadt Rio de Janeiro.

Auf der Grundlage einer Langzeitstudie über auf der Straße lebenden Menschen in den brasilianischen Großstädten sollen hier im Hinblick auf das ATITUDE-Konzept die Begrifflichkeiten von Hass und Solidarität, die Neuerfindung des Alltags durch die Armen und einige Formen der Darbietung und Intervention des schwarzen Körpers im städtischen Raum diskutiert werden. Ergänzend werden mittels DVD Bilder von den Performances und Choreografien gezeigt, die in Rio de Janeiro im Museu de Arte Contemporânea und am Arpoador-Strand gezeigt wurden.

Schwarz sein in Brasilien und Deutschland:

Ekpenyong Ani (Berlin) – Diplom-Übersetzerin, Lektorin und Geschäftsführerin des Orlanda Verlags in Berlin. Engagiert sich seit 1993 bei ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland sowie in der breiteren schwarzen Community. Veröffentlichungen in der Zeitschrift „The African Courier“ sowie in „AufBrüche. Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland“ (Hg. Gelbin/Konuk/Piesche, 1999) und im Migrations-Online-Dossier der Heinrich-Böll-Stiftung: Schwarze Community in Deutschland.

Dass die Geschichte Brasiliens eng mit der des afrikanischen Kontinents, mit Kolonialismus und Sklaverei verknüpft ist, ist weitgehend bekannt. Dass es auch Parallelen in Europa gibt, ist dagegen noch immer eine eher unbekannte Geschichte. Inzwischen sprechen wir immer häufiger von einer schwarzen Diaspora; was ist im Kontext Brasilien-Deutschland damit gemeint? Was verbindet schwarze AktivistInnen und Kunstschaffende in Deutschland und in Brasilien? Kann in Deutschland von einer Plattform für schwarze Künstlerinnen und Künstler gesprochen werden, und wenn ja, wie gelingt es den AkteurInnen, sich außerhalb von Exotisierung und Ausbeutung des schwarzen Körpers zu bewegen? Diese und anderen Fragen sollen im Gespräch erörtert werden.